übers Fotografieren
Sommer 2021

Der Moment stimmt. Die Perspektive ist gewählt. Die Kamera surrt. Rattert. Ein Bild entsteht. Der Augenblick ist persönlich wichtig. Ein gelungenes Foto hat seinen eingeschriebenen Wert bekommt. Eine Erinnerung an ein schönes Erlebnis, an wichtige Menschen, an gute Zeiten. Ob es gut geworden ist zeigt sich erst bei der Entwicklung.

Mein Uropa ist nur auf einem Foto festgehalten – mit allen Familienmitgliedern vor seinem Haus. Das war dem Fotograf wichtig. Die Bildkomposition ist streng und hierarchisch. Es zeigt ihn in militärischer Uniform. Pflichtbewusst. Diese Zeiten sind vergangen. Oder haben sich überlebt. Meine Kindheit ist in vielen Fotos festgehalten, ursprünglich gesammelt in einer Schuhschachtel von unzähligen Bilder. Von der Geburt. Vom nackt in der Sandkiste spielen. Mit meiner Schwester. Der Erstkommunion. Und fast immer beim Kuchenessen. Der Geburtstag als hat sich als Hauptmotiv angeboten. Jedes Jahr sieht man den Alters- und Reifungsprozess (von mir selber) und das langsame Ergrauen der elterlichen Haare. Fotos vom ersten Ball. Mit dem ersten Anzug. In der Zwischenzeit wurden die Fotos in ein Album (mit Fotoecken auf stärkerem Papier) geklebt und textlich kurz beschrieben, Personen, Datum etc. Wenn ich das leicht vergilbte Album – das ich mit meiner Schwester teile – so durchschaue sehe ich vor meinem inneren Auge viele Momente die einem Raum zum Träumen geben. Es beschreibt meine Suche nach Erwachsenwerden. Das Lachen, das Stehen auf den Zehen, das Grimassenschneiden. Die Suche nach der eigenen Persönlichkeit.

Aber wieso ich das Schreibe? Ich fahre mit einigen Fotografen auf Urlaub. Im Gepäck sind genau genommen 1 Spiegelrefelex Kamera, 1 Drohne, 1 Gimbal mit allen Extras, 4 iPads, 7 Laptops und 12 iPhones, von denen jede wiederum 3-4 Kameras besitzt. Die Anzahl der Kameras wächst exponentiell. Um auch die kleinsten Momente festzuhalten. Darüber schwirrt die Drohne mit Foto und Filmmöglichkeit aus der Totalen. Manche Momente werden überhaupt mehrfach festgehalten. Wir fahren also mit allen bildgebenden Möglichkeiten auf Urlaub. Die Anreise ist speziell. Und gut dokumentiert. Geteilt in der gemeinsamen WhatsApp Gruppe. Genau genommen ist es die Dokumentation einer Anreise, die man  kaum besser festhalten hätte könnte. Die Anzahl der Anreisefotos übersteigt jene meiner Kindheit deutlich. Nicht jedes ist spektakulär. Aber ein Eindruck lässt sich festhalten. Ein-Druck. Früher wurde so ein Bild ja tatsächlich noch gedruckt. Mittlerweile ist es wertvoll für die sozialen Medien. Wenn es kein Foto gibt – wurde der Urlaub nicht gelebt. Auch ich ertappe mich dabei das ein oder andere Foto zu machen. Meistens ruhig und wegen der Stimmung. Oder um mir nahestehende Personen ein Update zu geben. Manchmal quadratisch und ruhig, oftmals auch schwarz weiß. Aber mir fehlt meistens etwas. Es ist nicht nur die dritte Dimension (die durch mehrfache Kameraführung oder Videos ersetzt wird), es fehlt an vielem mehr. Das Tasten und Erleben, das schmecken, hören und riechen. Das kann schön sein. Weil so vieles fehlt, bleibt vieles im eigenen Ermessen und alles kann hinein interpretiert werden. Deshalb faszinieren mich auch Schwarz-Weiß Fotos.

Und oft werden Fotos auch dringend gebraucht. Beispielsweise in der Medizin, bei der eine Röntgenaufnahme einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit darstellt. Der Arzt interpretiert dann mit bestem Wissen und Gewissen das Bild vom körperlichen Problem und erstellt eine Diagnose. Weil so vieles fehlt, bleibt es im Ermessen des Arztes wie damit umzugehen ist. Die Wichtigkeit von Fotos bei physischen Problemen ist unbestritten. Bei psychischen Beschwerden kann ein Foto hier nicht dienen. Psychische Probleme sind nicht fotografierbar. Hier hilft anstelle des Fotos dann nur noch der Mensch. 

In der Architekturfotografie wird der Raum seit langem ohne den Nutzer und ohne Nutzungsspuren gezeigt. Le Corbusier – hat als einer der einflussreichsten Vertreter der Moderne – gerade zu den weißen jungfräulichen Raum ohne Nutzer gezeigt. Ohne Nutzungsspuren aber möbliert. Und das Bild der fixfertig durchdachten Wohnung ist angenehm. Was im Bild nicht vorgesehen ist, darf auch nicht sein. Keine Lampe in der falschen Farbe. Das würde das farbliche Konzept oder die geplante Lichtstimmung verfälschen. Gut kann ich mich erinnern, wie wir in meinem ersten Jahr in Vorarlberg – im Büro von Bernardo Bader – Möbel ausgesucht und Leuchten mit dem Elektriker angeschlossen haben – ausschließlich für das Foto. Nach den Fotos gingen die Leuchten retour ins Geschäft. Es ist eine Zur-Schaustellung. Selten werden die Häuser so bewohnt wie sie abgelichtet wurden. Das Foto trennt die Architektur vom Leben. Architektur lebt dann für das Foto. Dabei soll ein Haus so klar, stark und einfach sein, dass es auch die Vielfalt an Möblierungen und Stimmungen aushält. Oder sogar besser wird. Das es die sichtbare Individualität der Bewohner braucht, um zu wirken. Und ohne Bewohner leer ist. Dann bekommt das Haus seine eigene Persönlichkeit. Das fasziniert mich. Am Ende muss sich jede Illusion und jedes Bauwerk in der Wirklichkeit bewähren, unabhängig von fotografischen Eindrücken. Natürlich kann man nun sagen, das neben Fotos auch Filme einen Ausschnitt wiedergeben und fokussiert Themen in das Blickfeld bringen können. Das stimmt natürlich. Aber nur selten bin ich davon räumlich fasziniert. Wenn ich mich zurückerinnere, welche Architekturfotos oder Filme mich bewegt haben, so sind das beinahe zur Stummfilme, bei der man Raumstimmungen und Atmosphäre weiterdenken kann. Metropolis lässt das beispielsweise zu. Die Platz lassen für kreative Eindrücke. Für Interpretationsspielräume. Heutige Filme werden schneller geschnitten. Das Auge konstruiert dann sein eigenes Bild. Sofern es überhaupt nachkommt. Allerdings wird der Wert der rhythmischen Folge unterschätzt. Das lässt eine Beobachtung und Inspiration gar nicht so schnell zu. Verkürzte Perspektiven und Verzerrung der Linsen machen den Rest. Das Kameraauge will durchwandern und sich durch den Raum bewegen. Das Licht verändert und verwandelt den Raum und die Stimmung laufend. Schwarz-Weiß Fotos können das eher vermitteln als Farbfotos. Vermutlich weil die Textkur und die Materialität zurückgenommen ist und der Fokus somit mehr auf Raum und Licht liegt. Ruhigere Bilder sind oft faszinierender weil ein größerer Entdeckungsspielraum möglich ist. Und beim mehrfachen Anschauen lassen sich Nuancen finden. Nutzungsspuren oder handwerkliche Qualitäten. Oder das Leben genießen. Während ich das Schreibe entsteht eine weitere Story. Und die Drohne saust über meinem Kopf herum. Der schöne Ort wird gerade festgehalten.

über Fernweh & Wanderlust. Quo vadis? Und vor allem “Wie vadis”?
Herbst 2020

Fernweh. Selten haben wir uns durch Covid19 so beschränkt gefühlt wie beim Reisen. Die Sehnsucht nach anderen Ort ist bei vielen Menschen vorhanden oder sogar gewachsen. Die Lust zu Reisen ist auch bei mir zu einer Sehnsucht geworden. Gedanken und Eindrücke, das Sehnen nach anderen Orten – tauchen vor meinem inneren Auge auf. Der Blick zurück an Urlaubsorte, Erlebnisse und Momente kommen in Erinnerung. Fast immer verbunden mit einen konkreten Ort. Diese Gedanken haben mit der schwer gebeutelten Reisebranche absolut nichts zu tun. Die Produkte der Reiseanbieter mit günstigen Urlaubsangebote ist in der Krise. Die An- & Abreise ist unangenehm aber meist schnell und billig, es ist ein buchbares Mittel zum Zweck. Dank griffbereiter Kreditkarte können wir jederzeit und überall sein. Mit Hochgeschwindigkeit zu Tagen der Entschleunigung. Doch Corona verzögert die startbereiten Jumbojets, die Hotels bekommen die notwendige Auslastung nicht. Und die Kunden erhalten nur selten das unerreichte Ideal und Glück. Von den ökologischen Auswirkungen mit allen Folgeerscheinungen ganz zu schweigen. Man war zwar im Urlaub, aber weiss gar nicht, wo man eigentlich war. Der Ortswechsel ist kein Erlebnis. Die Destination ist zweitrangig. Der Urlaub hat dann nur wenige Spuren im Gedächtnis hinterlassen. Oft fehlt die Reiseerfahrung selber. Zynisch frage ich mich: Sind wir überhaupt gereist, wenn wir unterwegs waren? Corona hat vorerst den Urlaub verändert. Wie kann der Tourismus während Corona und danach aussehen? Der Urlaub zu Hause wird plötzlich wiederentdeckt. Reisegewohnheiten lassen sich anpassen. Reisen mit Verantwortung rückt ins Zentrum.

Reisen bedeutet, den Ort zu wechseln. Zeit zu haben und auf dem Weg zu sein. Slow Tourism könnte ein neuer Trend werden. Etwas Besonders werden. Zeit zu haben für Menschen und Dinge, Landschaften und Räume. Sich durch den Raum zu bewegen. Orte, Täler und Berge zu fordern. Es gilt Zwischenräume zu queren und zu distanzieren. Die heimischen Berge sind erfrischend, die Seen besonders sauber und die Wälder duftender. Die Tourismuswerbung reagiert. Eine neue Reiseerfahrung scheint möglich. Die Wanderlust wird wiederentdeckt. Wer früher am Land unterwegs war, schritt fort. Zu Fuß. (Oft unaufhaltsam.) Die Muskelkraft hilft beim Fortschreiten. Der Fortschritt bleibt nicht stehen (und lässt sich auch nicht aufhalten). Der Weg begleitet einem von Ort zu Ort. Die Füße und der Kopf durchmessen die Landschaft. Der Rhythmus der Tage ändert sich. Die Entfernungen werden menschlich. Raumaneignung durch Muskelkraft. Das Ziel, sofern es eines gibt, kommt langsam und bedächtig näher. Die unmittelbare Umgebung kann geschärft wahrgenommen werden. Man bekommt einen Blick ins Land. Einen Einblick. Man wird begleitet von Grünland, Maisplantagen, Getreidefelder und Obstplantagen. Monokulturen überwiegen. Die Suche nach Entdeckung ist schwierig. Die Vielfalt der Arten ist gering und verkümmert. Es eröffnet zugleich Verständnis zur Lebensweise. Die Schönheit der Vielfalt ist durch Nutzen ersetzt. Das prägt die Gestalt der Landschaften und Dörfer. Mit der investierten Kraft des Vorankommen bekommt das Ziel seinen eingeschriebenen Wert. „Nur wo du zu Fuß warst, bist du wirklich gewesen“ schrieb Goethe. Es braucht Zeit damit die Reise wirkt. Die Berge begleiten einem, Täler öffnen (und schließen) sich. Leiten über. Sehr gemächlich bekommt an das Gefühl für die Weite. Dazwischen trifft man auf Bewohner, tagsüber meistens Bauern, Hausfrauen, ältere Personen und Kinder; meistens im im Alltagsleben all zu gerne übersehen. Begegnungen mit Menschen und deren Lebenswelten ergeben sich automatisch. Die wiederentdeckte Sehnsucht nach Langsamkeit ist ein Zeichen unserer Zeit: Der Weg ist das Ziel. Das Ziel ist der Weg. Mit Körper- (& vor allem) Muskelkraft durch Ort und Zeit zu bewegen ist bei Pilgerreisen, Radwanderungen Alpenüberquerungen „in“. Die eigentliche An- & Abreise wird zum eigentlichen Urlaub. Das Erleben der Vielfalt wird zur Kostbarkeit. Selbsterfahrungen und Erlebnishorizonte können sich verändern. Und zur Not bleibt sonst ein Leistungsbeweis. Der Weg als erreichtes Ziel. Corona wird uns weiter fordern und lässt uns nicht ruhelos zurück.

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